Expedition

Die Bestie von Teneriffa

2011

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Während einer ausgedehnten Fotoreise im Rahmen ihres Fotografiestudiums gelang es der damals erst 27-Jährigen Carolina Francisca Zavala im Jahre 2011 die lange als verschollen geglaubten Überreste der legendären „Bestie von Teneriffa“ aufzuspüren. In ihrem Expeditionsbericht schreibt sie:

 

Bereits als Sechsjährige war ich fasziniert von Jean Cocteaus Film „La Belle et la Bête“, den ich unzählige Male mit meinem Großvater in seinem Kino in Bilbao anschaute. Später, als ich die Zeichentrickfilmverfilmung „Die Schöne und das Biest“ ansah, ergriff mich die Geschichte erneut und fasziniert mich noch immer.“

 

Während einer Reise zu den Kanarischen Inseln erfuhr die attraktive junge Frau von Pedro González, einem spanischen Edelmann, den man seinerzeit im Jahre 1537 das „Biest von Teneriffa“ nannte.

 

Als mir die Geschichte von Pedro González zu Ohren kam, hatte ich sofort das unbestimmte Gefühl, schon einmal von ihm gehört zu haben. Nach tagelangen Recherchen stieß ich tatsächlich auf eine Geschichte der französischen Schriftstellerin Gabrielle-Suzanne Barbot de Villeneuve, die als Urheberin der ersten literarischen Version von „Die Schöne und das Biest“ gilt. Offenbar war sie bereits im Jahre 1740 auf die Legende von Pedro González gestoßen und maßgeblich von seinem Leben inspiriert worden. Nach und nach dämmerte mir, dass es sich bei ihm um das „Biest“ aus den Geschichten handeln musste. Bei meinen Erkundigungen erfuhr ich, dass Pedro González im Alter von 10 Jahren an den Hof des französischen Königs Heinrich II. geholt und als Affe gehalten wurde.“

 

Aufgrund seiner Erkrankung an Hypertrichose, für die ein ungewöhnlich starker Haarwuchs charakteristisch ist, wurde er häufig als „Affenmensch“ oder auch „Wolfsmensch“ verlacht. In seiner Jugendzeit verliebte sich González in eine junge Frau und versuchte ihr Herz zu gewinnen. Sie jedoch schmähte und verhöhnte ihn. Die öffentliche Demütigung erreichte ihren traurigen Höhepunkt, als sie ihn zu ihrer Hochzeit mit einem schönen Prinzen einlud – zur Belustigung der Hochzeitsgäste.

 

Ich kochte vor Wut, als ich das hörte! Pedro González, der mittlerweile unter dem Schutz Heinrichs II. stand und sogar Latein sprach, war ein Edelmann. Er wollte die Herabwürdigung nicht auf sich sitzen lassen und schwor Rache. Im Zweikampf mit dem Prinzen zeigte sich jedoch, dass er zwar mit der Feder, nicht jedoch mit dem Schwert umgehen konnte. Schwerverletzt blieb ihm nur die Flucht.“

 

Beseelt von dieser Entdeckung, beschloss Carolina später, die Geschichte des Biests weiterzuverfolgen. Als sie – durch ihr Stipendium der Barcelona Academy of Art begünstigt – Italien bereiste, um Landschaftsaufnahmen zu machen, fand sie Beweise dafür, dass González den Schwertkampf überlebt hatte.

 

Am Hofe der Margarethe von Parma waren Gemälde aus der damaligen Zeit aufgetaucht, die González in edlen Gewändern zeigten. Er hatte tatsächlich eine Frau gefunden, die sein gutes Wesen erkannte und ihn trotz seines Aussehens heiratete! Auf den Gemälden ist keine Anomalie bei ihr dokumentiert. Ihre Haut ist zart und weich und völlig ohne Bartwuchs. Mein Herz hüpfte, als sich die Mosaiksteinchen mehr und mehr zusammenfügten. Das Märchen, das mir als Kind das liebste war, war tatsächlich einer wahren Begebenheit entlehnt worden. Pedro und seine Frau Catherine hatten sogar sieben Kinder zusammen! Ich wollte alles über ihn in Erfahrung bringen, nicht nur wie er gelebt hatte, sondern auch wo er gestorben war.“

 

Mehrere Tage verbrachte sie in Parma und sprach mit Bibliothekaren und Adelsexperten. Immer wieder besuchte sie Friedhöfe und Ruinen aus der damaligen Zeit und streifte auf den ehemaligen Ländereien der Margarethe von Parma umher. Doch die Spur verlor sich. Bestürzung wich der anfänglichen Euphorie.

 

Seit Tagen hatte ich mir die Hacken abgelaufen und meine Füße schmerzten, als hätte ich mehrere Jahrhunderte durchschritten. Ich hatte unzählige Bücher und Folianten mit alten Stammbäumen gewälzt, Friedhöfe abgeklappert und keine neuen Hinweise gefunden.“

 

Obwohl sie bereits ihre Rückreise geplant hatte, zog es sie noch einmal auf die Ländereien hinaus, um ein paar letzte Erinnerungsfotos zu schießen.

 

Als ich durch den Sucher meiner Kamera blickte, traute ich meinen Augen kaum. Mitten im Wald zwischen all den Bäumen offenbarten sich die verwitterten Umrisse einer steinernen Gruft. Als ich näher kam, entdeckte ich, dass die Gruft leer war. Ich war gerade dabei zu gehen, als ich an einem angrenzenden Erdhügel die Konturen eines durch Wind und Regen freigespülten Wappens auf einer zerbrochenen Steintafel erkennen konnte: Das Wappen von Pedro González! Mit all meiner Kraft stemmte ich die Tafel zur Seite und öffnete einen geheimen Eingang. Aufgeregt schaltete ich meine Taschenlampe ein und stieg in das Versteck hinab. Vor mir enthüllte sich eine Gruft in deren Mitte ein beinahe unversehrter Sarkophag stand. Eine große, vermooste Grabtafel aus Stein prangte an der Wand. Zitternd vor Anspannung kratzte ich das Moos ab und erblickte die Worte, die die Jahrhunderte überdauert hatten:

« Unserem geliebten Vater und treuen Ehemann Pedro González. In ewiger Dankbarkeit, Catherine, Tognina, Alejandro, Anna, Francesco, Leonardo, Tia und Maria. »

Tränen schossen mir in die Augen, als ich diese Liebesgeschichte vor mir vollendet sah. Es war mit Abstand einer der ergreifendsten Momente meines Lebens!“

 

Als der Sarkophag später unter Aufsicht einiger Archäologen des Adventure Club of Europe (ACE) geöffnet wurde, fand man bei den Gebeinen von Pedro González eine gut erhaltene Totenmaske und Überreste von edlen, höfischen Gewändern. Die Totenmaske ist seither im Besitz des ACE. Carolina Francisca Zavala wurde für ihren bedeutenden Fund feierlich als neues Mitglied aufgenommen.

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