Giacomo Medaina

Mitglied von 1756 – 1786

Haben Sie schon einmal das Gefühl gehabt, nicht alleine in einem leeren Raum zu sein? Einen kalten Schauer gespürt, der unwillkürlich durch Sie hindurch fuhr? Hören Sie es nachts manchmal knarzen und heulen und versuchen sich einzureden, dass es der Wind ist? Denn was soll es auch sonst sein? Schließlich gibt es nichts, das man nicht rational erklären kann.Oder doch?

Bringen wir es auf den Punkt: Wir leben in einer Zeit, in der das Übernatürliche verachtet wird. Weil es nicht in die Parameter passt, die der Mensch braucht, um sich sicher zu fühlen. Weil es uns die Illusion der Kontrolle nimmt. Und dennoch gibt es auch in unserer Welt noch immer Dinge, die wir uns nicht erklären können. Verlassene Häuser, in denen nachts das Licht flackert, obwohl der Strom schon vor Jahren abgeschaltet wurde. Stillgelegte Krankenhäuser, aus denen um Mitternacht die Schreie der Kranken erklingen. Und einfache Familienhäuser, deren wechselnde Bewohner über Jahrzehnte hinweg alle natürlich nur rein zufällig nach wenigen Monaten in der Psychiatrie landen.

Werden wir konkreter: Haben Sie schonmal nach einem Geisterjäger gesucht? Vermutlich nicht. Dieser Beruf ist in Vergessenheit geraten. Und wer ihn ausübt, gilt als Betrüger oder Verrückter. Doch das war nicht immer so. Es gab eine Zeit und einen Ort, da war der Geisterjäger noch vor dem Arzt der gefragteste Mann der Stadt. Der Name dieses gefragten Mannes war Giacomo Medaina. Und der Ort: Verona in Italien. Dort wurde er 1727 geboren und definierte sich schon in jungen Jahren vor allem durch eine außergewöhnliche Charaktereigenschaft: Seinen Hass auf Geister. Er gab ihnen die Schuld daran, seine Mutter in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord getrieben zu haben, als er erst 10 Jahre alt war. Er war sich sicher, dass sie es waren, die den Lärm machten, als er sich als Jugendlicher heimlich nachts aus dem Kinderheim schleichen wollte und entdeckt wurde. Und er wähnte sie hinter jedem Ernteausfall, der die Bauern ereilte sowie jedem Krankheitsausbruch, der die Bevölkerung dahinraffte. Sein Hass war so stark, dass er jede freie Minute seines Lebens dem Kampf gegen die Geister widmete. Und als er gerade einmal 28 Jahre alt war, sollte er zur Legende werden…

Durch dutzende unabhängige Aufzeichnungen ist bekannt, dass es im Jahre 1755 zu einem Phänomen kam, das in Norditalien nur als „die Geisterplage von Verona“ bezeichnet wird. Unzählige Größen aus Wirtschaft, Bildung und Politik schienen innerhalb weniger Tagen ihren Verstand zu verlieren. Die Politiker hielten wirre Reden, die Händler verbrannten ihre Ware, die Professoren brabbelten wirres Zeug in den Universitäten. Aus den großen Gebäuden der Stadt drangen markerschütternde Schreie mit unbekannter Herkunft. Politische Entscheidungen, Handel, Lehre – all das war über Nacht unmöglich geworden. Kurz: Die Bewohner litten furchtbare Ängste und Verona stand vor einem Kollaps ungeahnten Ausmaßes.

Zwar gibt es Historiker, die eine Form des Rinderwahnsinns als Erklärung für die Vorfälle im Jahr 1755 vermuten, aber Beweise dafür gibt es nicht. Ich sage Ihnen nur so viel: Fragen Sie heute mal ein paar der alten Damen um die Piazza delle Erbe. Die wissen es alle ganz genau, da man es sich dort seit Generationen weitererzählt: Es war eine Geisterplage.– Franco Iacci, Paraforscher

Auf eigene Faust machte sich Giacomo Medaina seinerzeit auf die Suche nach der Ursache allen Übels und fand sie, so erzählt man sich, in einem vergessenen Verlies unter der Arena di Verona, wo einst römische Gladiatorenkämpfe ausgetragen wurden. Wie sich herausstelle, diente das Verlies viele hundert Jahre zuvor als Leichenkammer für all jene Gladiatoren, die den erbitterten Kampf in der Arena nicht überlebt hatten. Und nun war das Verlies bei Bauarbeiten aufgebrochen und damit die Totenruhe der Gladiatoren gestört worden.

Noch heute findet man in Verona Zeichnungen darüber, was dann geschah: Mit Feuer und Rauch, Licht und mystischen Gesängen, schaffte es Giacomo die Geister zunächst zusammenzutreiben und schließlich zurück ins Verlies zu bannen.Nur wenige Tage nach Ausbruch der Geisterplage, konnte er ihr Ende verkünden. Und tatsächlich: Alle wahnsinnig gewordenen Menschen kamen wieder zu sich. Die hallenden Schreie verstummten. Giacomo Medaina wurde im ganzen Land gefeiert und reiste fortan durch Europa, um Häuser und Gegenden von Geistern zu befreien.

Dies brachte ihm zuerst die Aufmerksamkeit und schließlich die Mitgliedschaft des ACE ein.Erst die große Liebe zu seiner Frau Marisa verleitete ihn 1762 dazu, seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Verona zu verlegen. Durch sie, so heißt, sei der einst so verbissene Geisterjäger milde geworden. Die beiden verbrachten wundervolle Jahre, bis ihr Glück jäh durch Marisas Tod im Jahr 1770 unterbrochen wurde.

Giacomo war am Boden zerstört. Wie sollte er ohne seine Geliebte weiterleben? Doch eines Tages, so steht es im Tagebuch eines Freundes, dem er sich anvertraute, erschien Marisa ihm als Geist. Und plötzlich wurde sein gesamtes Wertesystem auf den Kopf gestellt. Der Hass gegenüber allen Geistern wich der Sehnsucht, seine Frau wieder zu sehen.– Franco Iacci, Paraforscher

Fortan wechselte Giacomo die Seiten. Er versuchte Geister nicht mehr zu vertreiben, sondern heraufzubeschwören – in der Hoffnung, mehr über sie zu verstehen und seine Frau eines Tages aus dem Reich der Toten wieder in unsere Welt zurückzuholen. Mehr als fünfzehn Jahre forschte er verzweifelt, bis er schließlich im Jahr 1786 eine Maschine vorstellte, mit dem ein Wechsel zwischen dieser Welt und der Anderswelt möglich sein sollte. Doch bereits nach dem ersten Testversuch in seinem Labor blieb Giacomo für immer verschwunden.

Seither wird nur darüber gemunkelt, was Giacomo zugestoßen ist. Manche sagten, er habe sich umgebracht. Aus Trauer um seine Geliebte. Aber fragen Sie mal die alten Frauen vom Piazza delle Erbe. Die sind sich sicher: Giacomo und Marisa sind wieder vereint. Und wenn man in den Ecken der Piazza manchmal nachts den Wind pfeifen hört, dann ist es fast so, als erklinge hin und wieder Giacomos Name.– Franco Iacci, Paraforscher